Im Süden von England gibt es so einige Sehnsuchtsorte für Urlauber und Camper. Insbesondere in Cornwall tummeln sich nicht zuletzt aufgrund der beliebten Rosamunde Pilcher-TV-Filme im Sommer so viele Touristen, dass die Region schon fast überlaufen ist. Der Tipp von Freeontour-Autor und Großbritannien-Spezialist Jörg Berghoff: ein Campingurlaub in der Grafschaft Kent im Südosten von England. Seiner Meinung nach ist sie mindestens genauso schön wie Cornwall.
Sehnsuchtsziele in Südengland
Wer von einem Land oder einer Region fasziniert ist, erinnert sich oft an ein besonderes Ereignis, das ihm die Sehnsucht ins Herz gelegt hat. Für viele sind es die Verfilmungen der Rosamunde Pilcher-Romane, die Cornwall zum Sehnsuchtsziel machen. Manch einer ist archäologisch und erdgeschichtlich interessiert, den zieht es dann an die Jurassic Coast von Dorset nach Devon, nicht zu vergessen ein Reisepublikum, das Nightlife, lebendige Musikszene und das Meer liebt und das alles in Seebädern wie Brighton oder Eastbourne vorfindet. Die Naturliebhaber zieht es ins Dartmoor oder in den Exmoor Nationalpark. Das sind, alle zusammen, durchaus gute Gründe seinen Sehnsuchtsort in Südengland zu finden. Und was ist mit Kent?
Diese Gründe sprechen für Kent
Die meisten Südenglandreisenden brausen einfach durch die wundervolle Grafschaft Kent und sehen sie nur als Durchgangsstation auf dem Weg in den Südwesten oder nach London. Der ein oder andere legt vielleicht noch einen Zwischenstopp in Canterbury ein, das war es dann aber auch. Eine weitere Ursache ist, dass der Fährhafen von Dover das erste Stück England ist – abgesehen einmal von den White Cliffs – das die Besucher zu sehen bekommen. Und – da führt kein Weg dran vorbei – die Industrieanlagen und Hafengebäude sind nicht gerade einladend, obwohl die Stadt Dover selbst mit ihrem mächtigen Dover Castle weit mehr zu bieten hat als diese Tristesse. Warum sollte man also in Kent verweilen?
Foto: VisitBritain/Pete Seaward
Dafür gibt es eine Anzahl guter Gründe: Die Grafschaft Kent wird nicht ohne Grund als der „Garten Englands“ bezeichnet. Vom Apfel-, Wein- und Hopfenanbau einmal abgesehen liegen hier einige der schönsten Gartenanlagen und Parks des ganzen Landes. Außerdem können geschichtsträchtige Schlösser und Burgen besichtigt werden. An der Thanet-Küste gibt es wunderbare, oft noch verträumte Badeorte und Fischerdörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und darüber hinaus gibt es mit Canterbury ein Kultur- und Religionszentrum von globaler Bedeutung. Canterbury als UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt ist das bedeutendste Zentrum der Grafschaft Kent. Mit ihrer Kathedrale und den Pilgerstätten ist sie noch heute ein europäischer Mittelpunkt der Spiritualität. Mittelalterliches Flair trifft hier auf Modernität und Aufgeschlossenheit.
Foto: Jörg Berghoff
Die Kathedrale von Canterbury – absolutes Muss einer Reise durch Kent
Mit unseren modernen Campingfahrzeugen leben wir in glücklichen Zeiten. Zumindest aus der Perspektive eines Pilgers der Neuzeit. Denn aus welchen Gründen auch immer man heute nach Canterbury fährt, wir reisen weit angenehmer als zu Zeiten eines Geoffrey Chaucers (1345-1400). Damals musste man sich noch mit störrischen Eseln, empfindsamen Nonnen oder trinkfesten Ablasshändlern herumschlagen. Der Höhepunkt eines jeden Canterbury-Besuches hat sich seit jeher aber nicht verändert: Heute wie damals ist es die Besichtigung der Kathedrale. Eingebettet in eine mittelalterlich anmutende Altstadt zählt sie zu den kunsthistorisch bedeutendsten sakralen Bauwerken Europas. Dabei ist die Kathedrale von Canterbury nicht nur ein wichtiger Geburtsort des Christentums, sie ist auch die Mutterkirche des Anglikanischen Glaubens. Darüber hinaus gilt sie auf Grund ihrer beeindruckenden Architektur als die schönste Kathedrale Englands.
Foto: Jörg Berghoff
Zusammen mit dem St. Augustine´s Kloster und der St. Martin´s Kirche gehört sie zu Canterburys UNESCO Weltkulturerbe-Stätten. Seit mehr als 1400 Jahren ist sie ein Ort der täglichen Verehrung Gottes und Pilgerstätte zugleich. Im Jahre 597 n. Chr. bekehrten römische Missionare den König von Kent zum Christentum. Der damalige Missionsleiter Augustinus wurde zum Erzbischof geweiht und sein Sitz in Canterbury errichtet. Der normannische Erzbischof Langfranc legte um 1070 den Grundstein für eine zunächst romanische Kirche, ihre heutige architektonische Vielfalt ist Spiegelbild ihrer Geschichte seit dem 11. Jahrhundert. Neben Tudor-Elementen wie dem Christ Church-Tor findet man in den Westtürmen und dem Langhaus spätgotischen Perpendikular-Stil und romanisch-normannischen Stil im St. Anselm-Turm. Die romanische Krypta und der mit zahlreichen Wappensteinen verzierte Kreuzgang strahlen erhabene Ruhe aus. Schweigend steht man auch in der Kathedrale vor dem Ort einer Bluttat, die Thomas Becket zum Heiligen und Märtyrer machte. Becket, einst Kanzler und Freund Heinrichs II., wollte nach seiner Ernennung zum Erzbischof von Canterbury nur dem Ruhm und der Freiheit der Kirche dienen, vier Ritter setzten im königlichen Auftrag 1170 seinem Leben ein Ende. Drei eiserne Schwertspitzen zeigen auf den Ort der Bluttat.
Foto: Jörg Berghoff
Mittelaltertour und Aktivitäten in Canterbury
Raubeinig, derb und frivol ging es wohl auch auf den mittelalterlichen Wallfahrten nach Canterbury zu. In den Canterbury Tales des Londoner Dichters Geoffrey Chaucer, des in England am meisten gelesenen Autors seiner Zeit, werden sie ganz einzigartig beschrieben: „Ihr geht nach Canterbury – möge Gott den Schritt euch lenken und euch Sankt Thomas´ Gnade schenken.“ Der größte Verdienst von Chaucer war die Weiterentwicklung des Mittelenglischen zu einer anerkannten Literatur-Sprache Europas. Heute kann man in der St. Margaret´s Street eine audiovisuelle Show erleben, die alle Figuren der Canterbury Tales auferstehen lässt. Der Rundgang durch dieses Chaucer-Spektakel ist nicht nur humorvoll gestaltet, sondern zeigt auch authentisch das pralle Leben des Mittelalters mit all seinen alltäglichen Fallen und Unwägbarkeiten.
Dazu passt dann perfekt eine Historic River Tour auf dem Stour Fluss, der sich mitten durch die Altstadt schlängelt. Vorbei geht es in kleinen Ruderbooten an der Franziskaner-Kloster-Insel mit einer Kapelle aus dem 13. Jahrhundert, der King´s Bridge und der Dominikaner-Abtei, einem alten Weberhaus aus dem 15. Jahrhundert und der Königlichen Mühle. In den mittelalterlichen Gassen tummeln sich Minne- und Straßensänger, Touristen und Marktleute, Pilger und Poeten, drängeln vorbei an hübschen Fachwerkhäusern und heimeligen Pubs.
Foto: Jörg Berghoff
Neben der Kathedrale gehören zwei weitere Sakralbauten und ihre Überreste zum Weltkulturerbe, auch wenn sie außerhalb der Stadtmauern liegen: St. Augustine´s Abbey ist nur noch in Grundmauern erhalten, weil sie während der englischen Reformation unter Heinrich VIII. von der Zerstörungswelle erfasst wurde. Das Kloster wurde 598 vom heiligen Augustinus gegründet und war für Jahrhunderte eine der bedeutendsten Benediktinerabteien Europas. Hier wurden vier angelsächsische Könige von Kent, Erzbischöfe sowie der heilige Augustinus begraben. Auch die kleine St. Martin´s Church hat große Bedeutung. Sie ist nicht nur die älteste Kirche der Insel, hier wurde König Ethelbert von Kent im Jahre 597 von Augustinus getauft.
Tipp für die Kent-Reise: Zwischenstopp in Faversham
Aber nicht nur Städte wie Canterbury, Rochester, Maidstone oder Tunbridge Wells bieten Urlaubern in Kent abwechslungsreiche Aufenthaltsmöglichkeiten mit maritimen oder Wellnessthemen. Auch kleinere Orte wie zum Beispiel das mittelalterliche Faversham sind einen Aufenthalt wert. In Faversham stehen an erster Stelle die Abbey Street, auch bekannt als „Großbritanniens schönste mittelalterliche Straße“, und der Marktplatz mit einem Uhrenturm und einem Säulengang des im 16. Jahrhundert erbauten Rathauses. Doch Führungen durch die Brauerei Shepherd Neame beflügeln im wahrsten Sinne des Wortes alle Sinne – man schnuppert den herben Duft des Hopfens, bestaunt Unmengen von Bierfässern und probiert auf einer Verkostung die unterschiedlichen hier gebrauten Biersorten.
In der ältesten Brauerei Großbritanniens, die sich im Herzen von Faversham befindet, gibt es außerdem historische Lieferfahrzeuge, eine Kupferwerkstatt und zahlreiche Hopfenerntegeräte zu sehen. Favershams Geschichte reicht viele Jahrhunderte zurück. Bereits um 1800 war die Stadt eine der wichtigsten Zentren der Schießpulverindustrie und sorgte dafür, dass die Kanonen in den Schlachten bei Trafalgar und Waterloo so richtig donnerten – heute lassen es die Besucher bei der Probe von Biersorten wie „Spitfire“ oder „Bishops Finger“ so richtig krachen.
Foto: Jörg Berghoff
Kent mit dem Wohnmobil erkunden
Haben wir Sie neugierig darauf gemacht, die Grafschaft Kent mit Reisemobil oder Caravan zu entdecken? In den kommenden Wochen werden wir Ihnen hier zwei unterschiedliche Themenrouten durch Kent präsentieren: Die eine Wohnmobiltour führt entlang der Küste, die andere durch das Landesinnere der oft unterschätzten, wunderbaren Grafschaft Kent, die viel zu schön ist, um nur als Durchgangsregion benutzt zu werden.
Anreise und Stellplätze für die Anfahrt
Allgemeine Informationen zur Grafschaft gibt es unter visitkent.co.uk und canterbury.co.uk.
Anreise: Entweder man nutzt die fast stündlich verkehrenden Fährverbindungen zwischen Dünkirchen und Calais nach Dover mit DFDS oder P&O Ferries oder man wählt den Eurotunnel und ist in einer halben Stunde unter dem Ärmelkanal hindurch in Folkestone. Der große Vorteil dabei: Man kann es sich während der Fahrt durch den Tunnel ganz entspannt im Camper oder Wohnmobil bequem machen.
Campingplätze und Stellplätze: Wer eine längere Strecke zum Fährhafen zu absolvieren hat und nach der Fähr- oder Tunnelzugfahrt erst einmal in der Nähe von Dover oder Folkestone eine Pause einlegen will, dem stehen verschiedene Campingplätze zur Verfügung, von denen Freeontour untenstehend eine Auswahl vorstellt: